Der wahre Wert des Geldes

Das Geld als Maßstab ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Auch in der Liebe? Drei Beispiele aus der Beratung zeigen, wie das Geld in Partnerschaften und Familien hineinregiert — und was wirklich dahinter steckt.

Das »eigene« Geld ist für Frauen heute eine Selbstverständlichkeit. Dennoch verzichten viele auf ein eigenes Konto, wenn sie wegen eines Babys ihre Berufstätigkeit aufgeben oder unterbrechen. Und erleben dann, dass Haushaltsgeld kein Ersatz ist für die finanzielle Selbstständigkeit.
Das zeigt sich besonders in der Partnerbeziehung. Ob sie gelingt, hängt nicht zuletzt von der Ebenbürtigkeit der beiden ab, die sich in einem Ausgleich von Geben und Nehmen und in gegenseitiger Wertschätzung zeigt.

Haushaltsgeld ist kein Ersatz

Fall: ein Ehepaar mit zwei Söhnen (7 und 11). Er ist Versicherungsmakler, sie hat nach der Geburt der Kinder ihren Beruf als Verkäuferin aufgegeben; zurzeit bereitet sie sich nebenbei auf die Heilpraktiker-Prüfung vor. Beide fühlen sich unglücklich, unter Druck und unverstanden. Der Grund: ein krasser Mangel an gegenseitiger Wertschätzung.
Er bemängelt, dass sie sich nicht genügend um Ordnung und Sauberkeit kümmert — vom Garten ganz zu schweigen. Zudem tanzten die Kinder ihr auf der Nase herum; um die Hausaufgaben des Großen müsse er sich kümmern.
Sie beklagt, dass er kaum zu Hause sei; auch seine knappe Freizeit widme er überwiegend irgendwelchen Vereinen. Wenn er abends doch mal daheim sei, hänge er vorm Fernseher und schlafe dabei meistens ein. Und für einen gemeinsamen Urlaub finde er höchstens eine Woche Zeit.
Er hält dagegen: Wie es denn anders gehen solle, wenn die Familie ihren Lebensstandard halten möchte? Die Hypothek auf das Haus müsse schließlich auch bezahlt werden.
Kommentar:
Sie findet keine Anerkennung dafür, dass ihr Mann der Familie einen sicheren finanziellen Rahmen und einen gehobenen Lebensstandard ermöglicht; er hat kein Empfinden dafür, dass sie ihm den sicheren sozialen Rahmen und ein »Nest« als Rückhalt für seine berufliche Laufbahn schafft. Bei beiden bleiben Wünsche auf der Strecke. Die Sehnsucht nach gegenseitiger Anerkennung bleibt unausgesprochen — vielleicht auch unerkannt. Stattdessen wird Schuld hin und her geschoben.

Vom Liebesbeweis zum Machtmittel

Geld ist für manche Männer ein Ausdruck von Liebe und des Wunsches, geliebte Menschen zu versorgen; das wird oft übersehen. Stattdessen schafft ökonomische Abhängigkeit einen Nährboden für Misstrauen und Groll. Kein Wunder: »Eigenes« Geld steht in unserer Gesellschaft weithin als Synonym für »Eigenwert/Selbstwert«. Deshalb kann sich das Geld, das (in der Regel) die Männer als Hauptversorger ihrer Familien verdienen, unversehens vom ursprünglich gemeinten »Liebesbeweis« zur Macht-Ressource verwandeln. Viele Frauen kontern dann mit ihren Ressourcen: mit Sex, Emotionen und der größeren Nähe zu den Kindern und anderen Familienmitgliedern. Auf finanzieller Ebene mögen es die Männer sein, die bewilligen und genehmigen; auf emotionaler Ebene geraten sie eher zum Bittsteller. Die Frauen, die ihre finanzielle Abhängigkeit als untragbar erleben, erhöhen sich als »Gewährende« von körperlicher und emotionaler Nähe. Das eigentliche Bedürfnis nach Beziehung und Nähe, das es bei beiden gibt, endet in einem gegenseitigen Tauziehen oder in einem Tauschgeschäft: Geld für Liebe.
Hängen Geld-Wert und Selbst-Wert zusammen? Bin ich das, was ich habe? Versuche ich mich selbst aufzuwerten, indem ich mir Statussymbole (Haus, Auto, Familie ...) zulege? Und: Was will ich wirklich, wenn ich mir mehr Geld oder sogar richtig viel Geld wünsche? Was ist mein innerster Lebenstraum? Lässt er sich über Geld tatsächlich verwirklichen? Kann Geld der Sinn meines Lebens sein? Welche Leere fülle ich in mir oder in meiner Partnerschaft mit dem Bedürfnis nach mehr Geld?

Schulden – aus Treue zum Vater

Fall: eine junge Familie, die gewaltig über ihre Verhältnisse lebt. Vor allem die Frau muss sich zwanghaft jeden Wunsch sofort erfüllen. Ihr exklusiver Geschmack bringt die Familie an den Rand des Ruins. Der Gerichtsvollzieher ist längst kein Unbekannter mehr.
Aufschlussreich ist ihre Familiengeschichte. Ihr Vater, den sie sehr geliebt hat, hat zweimal Konkurs gemacht; nach dem zweiten hat er sich umgebracht. Die Familie wurde auseinander gerissen und erlebte einen sozialen Abstieg.
In einer Familienaufstellung zeigt sich, wie sehr sie ihrem Vater treu ist — so sehr, dass sie sein finanzielles Scheitern ständig »nachspielt«, um ihm nahe zu sein.
Inzwischen ist es der Familie mit Hilfe einer Schuldnerberatung und Paargesprächen gelungen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Sie kann die Liebe zu ihrem Vater inzwischen auch anders spüren und ausdrücken, ihr Mann kann sie verstehen und unterstützen.

Kommentar: In Familien, die sich verschulden, lässt sich oft eine verborgene Loyalität zu (womöglich verstorbenen) Angehörigen finden, die ebenfalls ihre Not mit dem lieben Geld hatten. Wie hier: Auch Vater und Großvater oder Mutter und Großmutter wussten um die große Bedeutung von Geld. Vielleicht stammten sie aus einer Flüchtlingsfamilie, die im Krieg alles verloren hatte; dann haben Geld, Haus, Besitz eine ganz andere Bedeutung als fair jemanden, der nie den materiellen Schutz vermisst hat und nie wieder ganz von vorne anfangen musste. Mit diesen Traditionen und Erfahrungen können Nachkommen ganz unterschiedlich umgehen: Die eine wird besonders sparsam bis hin zum Geiz. Nie wieder will sie so einen Verlust erleiden; anstelle von Genuss tritt Verzicht. Ein anderer schafft den Anschluss an die Familiengeschichte, indem er auf keinen grünen Zweig kommt. Selbst Enkel wissen noch um die schmerzlichen Erfahrungen ihrer Großeltern. So achten sie möglicherweise durch seinen Misserfolg den Großvater, der alles verloren hatte.
Natürlich wirken solche Loyalitäten unbewusst. Sie aufzudecken und anzusprechen, kann den Betroffenen eine große Erleichterung bringen — und ermöglicht im nächsten Schritt einen anderen Umgang mit Erfolg und Geld.
Auch wenn das Geld zwischen Eltern und Kindern zum Thema wird, wurzeln die Gründe tiefer. Manche Eltern kennen aufgrund ihrer Geschichte nur diese vordergründige Möglichkeit, den Kindern ihre Zuneigung zu zeigen. Andere beruhigen mit Geld ihr schlechtes Gewissen, weil sie (vermeintlich) zu wenig Zeit für ihre Kinder haben. Aber lässt sich Liebe kaufen? Lernen Kinder dadurch, später die eigentlichen Bedürfnisse wie Anerkennung, Nähe, Zuwendung, Zeit füreinander mit Geld zuzudecken?

Kinder sind von ihren Eltern finanziell abhängig. Da liegt die Versuchung nahe, über das Taschengeld Druck und Kontrolle auszuüben (»Solange du deine Füße unter unseren Tisch streckst«). Auch den Ablöseprozess ihrer fast erwachsenen Kinder können Eltern finanziell mitbestimmen: »Wer zahlt — schafft an!« Aber lernen Kinder dadurch nicht: Erst eigenes Geld macht mich zum ganzen Menschen? Und wer besonders kurz gehalten und klein gemacht wurde, schwört sich vielleicht »Nie wieder! Denen werde ich es zeigen!« und will besser werden als die Eltern. Die Gefahr ist dann, dass sie ihren Boden, ihren Rückhalt verlieren.

Dem Kind soll’s an nichts fehlen

Fall: eine 15-Jährige mit hohen finanziellen Ansprüchen an die Eltern, besonders was den Kleiderkauf betrifft. Die Eltern wiederum wollen ihrem einzigen Kind alles ermöglichen; sie soll ihren Freundinnen in nichts nachstehen. Sie haben selbst eine ärmliche Kindheit erlebt und setzen nun alles daran, dass es dem Kind an nichts fehlt. Auch um des lieben Friedens Willen geben sie nach; lieber verzichten sie selbst. Trotzdem fühlt sich die Tochter ungeliebt und unverstanden. Die Mutter ist unglücklich darüber, weil sie doch alles für ihr Mädchen tut. Und der Vater versteht »die Frauen« nicht; er möchte keinen Streit.

Erst als Vater und Mutter ihre Rolle als Erwachsene bewusst annehmen und ihrer Tochter sinnvolle Grenzen setzen, löst sich der Knoten. In der Beratung handeln sie ein »Kleidergeld« aus, mit dem das Mädchen wirtschaften lernt; den Eltern verschafft das die Gewissheit, finanziell genug für ihre Tochter zu tun. Damit die Jugendliche einen kleinen Ausgleich von Nehmen und Geben lernt, wird sie im Haushalt eigenverantwortlich Pflichten übernehmen. Das könnte Wäsche waschen oder bügeln sein, beim Einkaufen, Kochen oder Putzen Teilbereiche auswählen, die ihr Spaß machen und Bereiche, die sie mit etwas Engagement erledigen sollte. Besondere Tätigkeiten oder Aufgaben, z.B. Gartenarbeit am Wochenende oder Großputz, können die Eltern mit einem kleinen Geldbetrag vergüten. Nach und nach lernt die Familie ihre Beziehung unabhängig vom Geld zu gestalten. Soverbringen sie einen Abend bzw. einen Tag oder eine entsprechende Zeit miteinander, bei dem die Familienmitglieder abwechselnd bestimmen dürfen, was und wie es getan wird. Dadurch werden die individuellen Wünsche wertgeschätzt und die Familie lernt achtsamer miteinander umzugehen. Die Paarbeziehung wird intensiver, weil sich auch die Eltern Zeit miteinander nehmen für Gespräche und das was beiden gefällt. Auch stehen die Eltern als Erwachsene zusammen und erlauben ihrer Tochter nicht mehr, einen Keil zwischen sie zu treiben. Sie besprechen miteinander und entscheiden vorher, anstatt gegeneinander vor ihrem Kind zu diskutieren. Die Jugendliche erfährt dadurch Halt und Sicherheit und wird auf das Erwachsen sein mit Rechten und Pflichten vorbereitet. Eltern können ein Kind leichter loslassen, wenn es eigenverantwortlich handeln kann und wenn sie ihre Paarbeziehung interessant und zufrieden stellend finden, was aber schon einer Vorbereitung bedarf, bevor die Kinder flügge werden.

Kommentar: Wie man/frau mit Geld umgeht, lernen Kinder zuerst und am gründlichsten in ihrer Ursprungsfamilie. Deren Spielregeln und Werte werden in die Paarbeziehung und die neue Familie übernommen. Das kann zu Auseinandersetzungen führen, wenn Partner mit unterschiedlichen Vorstellungen zusammen kommen; dann müssen Regeln für die »neue« Familie gemeinsam ausgehandelt werden. Entferne ich mich dabei zu weit von dem, was in meinem Elternhaus galt, kann es zu Loyalitätskonflikten kommen: Gehöre ich noch dazu, wenn ich es jetzt anders mache?

Bei vielen jungen Leuten lässt sich beobachten: Wenn sie zu Hause ausgezogen sind und eine eigene Wohnung haben, übernehmen sie auch in punkto Geld mehr Verantwortung und gehen ganz anders damit um. Eltern, die ihren Kindern in finanzieller Hinsicht jeden Stein aus dem Weg räumen, hindern die Entwicklung dieser Verantwortlichkeit eher; die Kinder sehen gar keine Notwendigkeit dafür. Wahrscheinlich ist mancher »ewige Student« zu gut versorgt, um sich endlich selbst dem Leben zu stellen.

Fazit:

Geld an sich besitzt gar keinen Wert (höchstens einen relativ geringen Materialwert). Erst dadurch, dass es für etwas eingesetzt wird, wird es für uns wertvoll. Der Streit ums Geld dient deshalb oft als »Stellvertreterkrieg«, bei dem es tatsächlich um ganz andere Themen geht. Partner, die das wissen, können sich umso eher den »eigentlichen« Streitpunkten zuwenden. Paaren und Familien stellen sich dann ganz individuell die Fragen:

  • Was bedeutet es, gut miteinander zu leben?
  • Was verstehen wir unter Lebensqualität?
  • Wie können wir unser Geld fair aufteilen?
  • Wie gelingt uns die gegenseitige Wertschätzung für die jeweilige Arbeit?
  • Welche schönen Dinge können wir genießen, die nichts kosten?

Lorette Purucker / Sabine Kage